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Zwischenlösung Genderzeichen

Ich schubladisiere mich wohl gleich selbst, wenn ich sage, dass ich das Gendersternchen nicht mag. Den Doppelpunkt mag ich ein bisschen mehr, aber wirklich nur ein bisschen und ich will versuchen, mein Kreuz mit dem Sternchen zu erklären. Meine Motivation zu diesem Aufsatz basiert auf der 30-jährigen Tätigkeit als Typografà, sprich als einà jener Handwerkà deren Aufgabe es ist, Text möglichst lesbar zum Transport vorzubereiten, und auf meinen altersbedingten Schlaflücken mit Gedankenkirmes.

Mich stört das Sternchen aus drei Gründen. Der erste ist rein typografischer Natur und für die meisten recht banal, und all jenen muss ich auch ein bisschen Recht geben. Aber der Asterisk ist in vielen Schriften für diesen Zweck zu gross, reisst optisch Löcher in den Text und verlangt für preisträchtige Typografie Sonderbehandlungen – wie Manipulationen an Grösse, Abständen und «Höhenlage». Der zweite ist – vielleicht – soziokultureller Natur. Statt der früheren Formen mit /i und I alle Geschlechter miteinzubeziehen, finde ich ein wichtiges Motiv. Aus meiner Sicht, ist die Platzierung «zwischen» Weiblich und Männlich fragwürdig – so nach dem Motto, wenns weder Fisch noch Vogel ist, ists halt Figel. Ja, man könnte sagen, besser als gar nichts. Der dritte Punkt zeigt ein klareres Problem. Seit rund zehn Jahren nimmt die Bedeutung des Textformatierungsformats Markdown immer mehr zu. Es dient dazu, Software-unabhängig Texte zu formatieren. Das Format ist federleicht und universell einsetzbar. Deshalb fungiert es immer mehr als grundlegendes Textformat für Inhalte im Web, und fast genau so schnell wird es das bevorzugte Arbeitsmittel für Vielschreibà jedweder Produkte – vom Roman bis zur vernetzten Wissendatenbank. In Markdown wird ein Sternchen dazu verwendet, den Beginn eines kursiven Textabschnittes einzuleiten und eben auch wieder abzuschliessen – wie Anführungs- und Schlusszeichen also. Gendersternchen bringen das durcheinander. Das selbe Sternchen für Fussnoten kann von Markdown erkannt werden, weil jenes immer in der Konstellation Zeichen + Stern + Leerschlag oder Zeichen + Stern + Interpunktion steht. Klar gibt es Wege, das softwareseitig zu lösen. Das wäre aber eine deutsche Sonderlösung und spricht gegen die Kernidee dieses Textformates aus dem OpenSource-Kontext.

Der Doppelpunkt stört in Markdown nicht. Gegenüber dem Asterisk verschwindet er aber in vielerlei Schriften – vor allem jenen ohne Serifen – zwischen seinen Nachbarn, so dass er, wenn überhaupt irgendwie, nur als Irritation, als Schmutz auftritt. Aber typografische Fachkräfte könnten damit arbeiten, wenn nicht noch weitere Probleme dazukommen. Gut erkennbar wäre nur die altbekannte Schrägstrich-Lösung.

Alternative

Als Typografà und Gestalterà war natürlich meine erste Idee, ein Zeichen zu suchen, dass sich genau richtig in den Text einfügt und heute semantisch ein so vernachlässigtes Dasein fristet wie das @ im Prä-Internet-Zeitalter, sodass es eine neue Bedeutung erhalten könnte. Erfolglos. Also müssten Menschen eines erfinden. Die Gilde der Schriftgestalterà soll sich hinsetzen und zusammen eines ausbrüten – international offiziell anerkannt. Eines, das sich sowohl hinten als auch vorne an den zu gendernden Begriff anhängen lässt – je nach Sprache, Grammatik und Schriftsystem.

Zugänglichkeit

Wieso anerkannt? Es gibt seebehinderte Menschen. Ich sag das so, weil mir scheint, genau diese Tatsache wird bei der ganzen Inklusionsarbeit immer wieder vergessen. Blinde oder stark in der Sehleistung beeinträchtige Menschen, lassen sich den Bildschirm durch Programme, «Screenreader», vorlesen. In Wirklichkeit ist es mehr als nur ein Vorlesen; es ist eine ganzheitliche Benutzeràführung. Dass die Entwicklung solcher Programme darauf angewiesen ist, dass in der jeweiligen Betriebssystemsprache Standards herrschen, dürfte plausibel sein. Dies wohl auch vor dem Hintergrund, dass im Vergleich zu neuem Unterhaltungsplunder weniger Ressourcen lockergemacht werden, solche Werkzeuge stets auf neue sprachliche Finessen abzustimmen. Hier sechs Beispieltexte und ihre akustische Ausgabe per Screenreader auf einem Mac in Standardeinstellung:

  • Leser*innen = Leser Stern Innen
  • Leser/innen = Leser Schrägstrich Innen
  • Leser’innen = Leserinnen
  • LeserInnen = Leser Innen
  • Leser:innen = Leser Innen
  • Leser·innen = Leser Innen

Mit anderen Worten: Von den verbreiteten Ideen funktionieren akustisch nur die letzten drei.

Ähnliche Schwierigkeiten haben übrigens Live-Übersetzungs-Tools sowie alle anderen Formen von automatischer Textverarbeitung. Mindestens an diesem Punkt bessert es mit den aus dem Boden schiessenden künstlichen Intelligenzen.

Zweckentfremdete Zeichen sind also aufwändig bis schlecht.

Der Zugänglichkeit noch weniger bekömmlich ist die enorme Holprigkeit, die entsteht, wenn in einem Text ein ganzer Stapel an Berufen und Funktionen durchgegendert wird. Wir kennen das alle beim Lesen und beim Schreiben. Mit einem fitten Lesehirn kriegen wir das hin. Schön und flüssig ist es nicht, aber es geht, jedenfalls mit zwei Geschlechtern. Wir wollen aber nicht nur Menschen aller Geschlechter, sondern auch all jene inkludieren, die weniger bis gar keine Übung haben, Deutsch zu lesen oder es unter Hochdruck gerade lernen müssen. Erst recht nicht funktionieren längere Texte in «Leichter Sprache», wenn sie durchgegendert sind.

Wer unserer Leserà hat jetzt die üppigste Arschkarte gezogen, müssten wir uns ständig fragen. Manche erhielten sogar mehrere. Wen exkludieren wir bei der Inklusion? Und wer schafft es allenfalls auch, sich notfalls selbst zu inkludieren – wer aber mit Sicherheit nicht?

Ich versuche gerade zum Spass «des Schusters Leisten» zu entgender und merke, dass ich sogar bei der weiblichen Form hadere. Wer sich schon länger mit dem Thema befasst, hat in diversen Artikeln und Videobeiträgen genügend alltagstauglichere Beispiele gesehen als gerade dieses. Tatsache ist, dass sich die Zugänglichkeit durchgegenderter Text verschlechter, wenn die Grammatik anspruchsvoller wird. Natürlich sind für den reinen Transport von Informationen ausgeklügelte sprachliche Wendungen nicht notwendig. Ein Generalverzicht auf blumige Sprache wäre aber sehr schade.

Mist!

Was nun? Der ganze Diskurs und mit ihm seine Ausbruchsversuche und Experimente sind enorm wichtig. Sprache hat die Männlichkeit über Jahrhunderte zementiert und befeuert, und ich gehe mit allen einig, die das verändern wollen.

Kernproblem

Seit meiner Ausbildung zum Typgrafà begleitet mich folgendes Zitat – Quelle (mir) unbekannt: «Typografie ist eine Dienstleistung an die Sprache.» Gleichwohl könnte man auch sagen, Schrift sei eine Dienstleistung an die Sprache – die gesprochene oder gedachte, um genau zu sein. Sie ist nur Transport. Damit das funktioniert, soll das Geschriebene dem entsprechen, was gedacht wurde, und umgekehrt muss das Gelesene dem entsprechen, was geschrieben steht – ohne dass jemand dazwischen kodieren und dekodieren muss.

Das bedeutet, dass all die Lösungsvorschläge mit Sonderschreibweisen nicht gut funktionieren, weil sie eben eine Form von Kodierung sind. Sie sind Heftpflaster für ein tieferliegendes Leiden.

Das bedeutet, die Sprache selbst muss sich entgendern oder genderneutral entwickeln. Von unten herauf. Heranwachsen mit den Heranwachsenden, um irgendwann offiziell zu werden. Ich glaube, dass es funktioniert, dass Sprache so passiert, und ich halte dies, als den einzigen Weg. Dazu braucht es vorallem von uns Ü40erà, die wir zuverlässig in jeder Generation wieder Mühe haben mit der Jugendsprache – ich sag nur «kann ich Kuchen?» – ein grosses Mass an Unterstützung für alle Experimente und Entwicklung und vorallem Mut und Freude, selbst mitzumachen, weiterzudenken, auf Kopfschütteln unserer Peers zu stossen, etwas punk zu sein.

Am meisten graut mir davor, dass vorschnell irgend etwas veramtlicht wird, weil durch gegenseitiges Nachahmen aufgrund von Ideenlosigkeit der Eindruck eines Konsenses entstand.

Ich möchte wirklich alle ermutigen, neue Formen zu finden, zu spielen und ganz wichtig, offen dazu zu stehen, dass wir hier Entwicklungsarbeit betreiben, Reibung verursachen und mit halbgaren Lösungen nach draussen gehen.

Zwischenlösung

Für die kommenden sieben Jahre plädiere ich für den Doppelpunkt als beste der schlechten Lösungen, allerdings mit der Bitte, diesen typografisch etwas pflegen zu lassen, bevor die Texte in Produktion gehen. Wenns gut geht, verwenden findige Schriftdesignerà einen Automatismus, der den Doppelpunkt als Genderzeichen jeweils etwas optimiert, sprich modifiziert. Technisch ist das möglich. In der Typografie nennt sich das eine kontextbedingte Alternative.

☀︎